Keine humane Welt ohne humane Schule

„In Diktaturen werden die Menschen abgerichtet, in Demokraturen werden sie unterrichtet, in wahrhaft freien und sich befreienden Gesellschaften ist Schluss mit dem Abrichten und Schluss mit dem Unterrichten; dort werden die Menschen aufgerichtet!“ (Otto Herz)

Otto Herz ist für mich deshalb so ein Vorbild, weil er in meinen Augen wie niemand anderes für die Botschaft stand, dass es ohne eine humane Schule keine humane Welt geben kann und geben wird.

„Sag mir, welche Schule du willst und ich sage dir, welche Gesellschaft du bekommst.“ (Otto Herz)

Er zitierte in diesem Zusammenhang den zutiefst erdrückenden Text des israelischen Psychologen Haim G. Ginot mit dem Titel „Liebe Lehrer“: „Ich bin ein Überlebender eines Konzentrationslagers. Meine Augen haben gesehen, was niemand je sehen sollte. Gaskammern, gebaut von gelernten Ingenieuren. Kinder, vergiftet von ausgebildeten Ärzten. Säuglinge, getötet von geschulten Krankenschwestern. Frauen und Babys, erschossen und verbrannt von Hochschulabsolventen. Deshalb bin ich misstrauisch gegenüber Erziehung. Meine Forderung ist, dass Lehrer ihren Schülern helfen, menschlich zu werden. Ihre Anstrengungen dürfen niemals führen zu gelernten Ungeheuern, ausgebildeten Psychopathen, studierten Eichmanns. Lesen, Schreiben und Rechnen sind nur wichtig, wenn sie dazu dienen, unsere Kinder menschlicher werden zu lassen.“ Einen Spruch ließ er auf eine Postkarte drucken und verteilte ihn bei jeder Gelegenheit an Pädagog*innen:

„Wir sind nicht dazu da, Menschen an vorgegebene Systeme anzupassen. Unser Beruf, unsere Berufung ist es, für die – und vor allem mit den – Menschen Systeme so zu gestalten, dass sie sich in ihnen wohlfühlen, sie als ihre eigenen erfahren und in ihnen und dank ihrer Lebens-Kompetenz & Lebens-Sinn erfahren.“ (Otto Herz)

Wenn Pädagog*innen Kinder und Jugendliche unterstützen würden, die Vision eines stärkenden und sinnstiftenden Lebensumfeldes zu entwickeln und dieses gemeinsam mit allen und im Sinne aller zu gestalten, wäre eine lebenswerte Welt vielleicht nicht so fern, wie sie heute erscheint. Hier sei ein Gebet eingefügt, das ich in den Tagen nach seinem Tod am 25.12.2024 schrieb:

Schule, gib mir die Kraft

Schule, gib mir die Kraft, nicht wegzuschauen, dort, wo das Leid der Welt sichtbar wird.

Lehre mich, das Unbequeme nicht zu meiden, sondern in der Verletzlichkeit der anderen meine eigene zu erkennen.

Hilf mir, die Wunden dieser Welt zu spüren, ohne in Resignation zu verfallen. Gib mir Mut, aus Mitgefühl zu handeln, selbst dann, wenn der Weg schwer ist.

Lass mich lernen, dass Verletzlichkeit keine Schwäche, sondern Stärke ist, dass die Welt nicht abseits von mir geschieht, sondern in mir und durch mich.

Zeige mir, dass ich ein Teil des Ganzen bin, und lehre mich, Verantwortung zu tragen – nicht aus Zwang, sondern aus Liebe zu dieser Welt und den Menschen darin.

Schule, sei ein Ort, der mich stark macht, für die Würde, für den Frieden.

Es ist doch im Grunde ganz einfach: Um liebevoll mit dieser Welt, mit anderen Menschen, mit der Vielfalt des Lebendigen umzugehen, muss ich sie zuerst als liebenswert erleben. Und was für ein Ort könnte sich besser eignen, um die Welt als liebenswert zu erleben, als der Ort, mit dem alle Kinder in der prägendsten Phase ihres Lebens in Berührung kommen? Diese Erkenntnis führte Otto zu seinem zentralen Credo „IM Leben lernen, IM Lernen leben“.

„DANKE ist mein Lieblingswort. DANKBARKEIT ist mehr als ein Wort. Dankbar zu sein ist ein grundlegendes Lebens-Gefühl, ist eine einladend-ausstrahlende Lebens-Einstellung. Meinen DANK behalte ich nicht für mich. Meinen DANK gebe ich weiter. Wenn ich in DANKBARKEIT bei Anderen zu ihrem Glück beitrage, kommt das Glück zu mir zurück. Dafür bin ich dankbar.“ (Otto Herz)

Hier geht es zum gesamten Text „Für Otto Herz!“ (33 S.) von Tim Wiegelmann

© Meggyn Pomerleau, unsplash

Text: Tim Wiegelmann, Bildungsphilosoph & Botschafter für humane Bildung, LinkedIn